FIW
Symposion
BMWi
10. GWB-Novelle
Anlässlich des 52. FIW-Symposion in Innsbruck (6.- 8. März 2019) stellte Dr. Philipp Steinberg, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, in seinem Vortrag „10. GWB-Novelle und Wettbewerbskommission 4.0 als Bausteine einer Digitalen Ordnungspolitik“ Grundzüge der kommenden 10. GWB-Novelle vor. Unter Wettbewerbsrecht 4.0 verstehe man die in der aktuellen Legislaturperiode noch bevorstehenden Änderungen im Wettbewerbsrecht, ausgelöst durch Prüfaufträge im Koalitionsvertrag sowie die Einsetzung der Wettbewerbskommission 4.0 im Herbst 2018. Die Bundesregierung habe es sich zum Ziel gesetzt, das Wettbewerbsrecht zu modernisieren. Zentrale Regelungsbereiche seien die Missbrauchsaufsicht, eine Verfahrensbeschleunigung (Auslöser: langwierige Digitalfälle, wie Google Shopping), die Fusionskontrolle und die Umsetzung der ECN-Plus-Richtlinie (zur Stärkung der nationalen Wettbewerbsbehörden). Grundlage für die 10. GWB-Novelle sei das Gutachten („Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen“) der Professoren Haucap/Kerber/Schweitzer.
Das Kartellrecht als „Verfassung“ der Märkte sei immer offen gewesen für die Anwendung auf neue Technologien, Märkte und Herausforderungen, ob analog oder digital – angefangen von der Zerschlagung der gewachsenen Monopole und Kartellen (bei Eisenbahn und Öl in den USA), der Liberalisierung des Energiesektors in Europa bis hin zur Anwendung auf Unternehmen der Digitalökonomie (Big Tech, GAFA). Gleichzeitig stelle die Digitalisierung das Kartellrecht vor neue Herausforderungen, die Antworten erforderlich machen. Drei wesentliche neue Herausforderungen seien: 1. Ermöglichung und Kanalisierung von Netzwerkeffekten, 2. Entstehen von Plattformen und gesteigerte Kooperationsbedürfnisse der Unternehmen in Industrie 4.0-Zusammenhängen und 3. Monopolisierungstendenzen in einer neuen Dimension. Das „Wettbewerbsrecht 4.0″ solle „proaktiv“ sein und schon dort eingreifen können, wo unterhalb der Marktbeherrschung der Leistungswettbewerb eingeschränkt werde und Abhängigkeiten den Wettbewerb behinderten. Und es solle schnell sein, um der Dynamik digitaler Geschäftsmodelle gerecht zu werden. Mögliche Elemente der Reform der Missbrauchsaufsicht umfassten nach Vorstellung des BMWi: die Erweiterung der Missbrauchsaufsicht über marktstarke Unternehmen auf Konstellationen, bei denen Abhängigkeiten – etwa von Plattformen – den Wettbewerb behindern, auch unterhalb der Schwelle zur Marktbeherrschung (durch Streichung des KMU-Bezug bei „relativer Marktmacht“), das Verbot bestimmter Praktiken zur Herbeiführung eines „Tipping“, die Aufnahme von Intermediationsmacht als Kriterium für Marktbeherrschung, die Erleichterung von einstweiligen Maßnahmen, die Fokussierung der Ressourcen beim Bundeskartellamt durch Entlastung von kleineren Fällen bei der Fusionskontrolle und ein Zugangsrecht zu Daten in Wertschöpfungsnetzwerken, um einer Monopolisierung über und von Daten entgegenzuwirken. Bei der Fusionskontrolle seien angedachte Elemente: eine Anhebung der zweiten Inlandsumsatzschwelle auf 10 Mio. EUR, das Aufgreifen bestimmter Fälle unterhalb der Umsatzschwellen insbesondere für „Sukzessiverwerbe“ und eine Modifikation der Bagatellmarktklausel. Ein Verbot des Aufkaufs von Startups werde voraussichtlich nicht eingeführt werden, sagte Steinberg. Eine Umsetzung von größerer Rechtssicherheit für Kooperationen werde schwierig zu bewerkstelligen sein. Steinberg stellte jedoch ein ggf. gesetzlich aufzunehmendes informelles Beratungsverfahren durch das Bundeskartellamt (sog. „Vorsitzendenschreiben“) in Aussicht. Steinberg ging in seinem Vortrag auch noch näher auf das Mandat der Wettbewerbskommission 4.0 ein. Die Wettbewerbskommission 4.0. und das BMWi seien sozusagen „kommunizierende Röhren“. Im Herbst solle bereits der Kabinettsbeschluss für die Novelle erfolgen. Im Übrigen werde der 10. GWB-Novelle zeitnah eine 11. Novelle nachfolgen.
Die Umsetzung der ECN-Plus-Richtlinie werde eine Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse der Kartellbehörden zum Gegenstand haben. Darüber hinaus werde die Rechtssicherheit bei der Bemessung von Geldbußen verbessert werden, die Regelungen zum Kronzeugenprogramm kodifiziert werden müssen und die verfahrensrechtliche Stellung der Kartellbehörden in gerichtlichen Bußgeldverfahren gestärkt werden.
Steinberg ging am Ende noch kurz auf die aktuelle industriepolitische Diskussion ein und fragte, ob wir neue wettbewerbspolitische Instrumente in Reaktion auf fortschreitende Globalisierung bräuchten. Die Politik fordere derzeit eine stärkere Berücksichtigung industriepolitischer Aspekte. Kurz streifte er einige aktuelle Reformvorschläge, von einer Änderung der Fusionskontrolle auf EU-Ebene, über eine Ratserlaubnis bis zu ergänzenden Maßnahmen in anderen Rechtsgebieten und sagte, dass es wichtig sei, die Debatte zu verbreitern. Das Wettbewerbsrecht könne allenfalls ein Instrument in der Debatte sein.