Bundestag
11. GWB-Novelle
Wettbewerbsdurchsetzung
Entflechtung
Sektoruntersuchung
Videostream und Informationen (abrufbar unter dem Reiter 2./3.Lesung): Deutscher Bundestag – Konträre Meinungen zu neuen Befugnissen für das Bundeskartellamt
Beschlussempfehlung: 2007625.pdf (bundestag.de)
Regierungsentwurf: Drucksache 20/6824 Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und anderer Gesetze (bundestag.de)
Pressestimmen (pars pro toto): Kommentar zur Kartellrechtsnovelle: Wettbewerbspolitik auf abschüssiger Bahn (faz.net)
Der Bundestag hat die 11. GWB-Novelle (Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und anderer Gesetze) (29/6824) am 6. Juli 2023 in 2. und 3. Lesung in der Fassung des Regierungsentwurfs mit Änderungen verabschiedet, wie sie in der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses zum Ausdruck kommt. Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke haben gegen die Stimmen von CDU/CSU und AfD für den Gesetzentwurf gestimmt. Die Initiative war bei der gesamten Wirtschaft von Anfang an durchgefallen und sehr kritisiert worden (vgl. hierzu FIW-Berichte vom 14.10.22, 30.01.23, 10.05.23, 31.05.23und 16.06.23).
Kernstück des Entwurfs ist der neue § 32f GWB, der dem Bundeskartellamt die Anordnung von Maßnahmen nach einer Sektoruntersuchung ermöglicht – von Eingriffen in die Vertragsgestaltung über Datenzugangsverpflichtungen bis hin zur Entflechtung von Unternehmen, sofern das Kartellamt eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs auf zumindest einem mindestens bundesweiten Markt, mehreren einzelnen Märkten oder marktübergreifend festgestellt hat. Neu und beispiellos: Ein illegales Verhalten der Unternehmen wird nicht mehr vorausgesetzt. Die drastischen Maßnahmen erfolgen auch und gerade bei völlig rechtstreuem Handeln. Das Gesetz erhöht nach Ansicht der Wirtschaft die Rechtsunsicherheit für die Unternehmen.
Darüber hinaus ist im Fall von Kartellrechtsverstößen die Abschöpfung der daraus entstandenen Vorteile für das Kartellamt durch Einfügung einer Vermutungsregelung deutlich erleichtert worden. Daneben hat das Gesetz die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass das Bundeskartellamt die Europäische Kommission bei der Durchsetzung des Digital Markets Act unterstützen kann. Zudem wurde die private Durchsetzung des Digital Markets Acts erleichtert.
Die letzten Änderungen im Vergleich zum Regierungsentwurf belaufen sich im Wesentlichen auf Folgende:
- Bei 32f Abs. 2 GWB wurde der Schwellenwert für das Zielunternehmen von 500.000 Euro auf eine Million Euro angehoben. § 32 f Abs. 2 bezieht sich auf die Anmeldepflicht für Unternehmenszusammenschlüsse nach einer Sektoruntersuchung, bei denen der Erwerber im letzten Geschäftsjahr Umsatzerlöse im Inland von mehr als 50 Millionen Euro und das zu erwerbende Unternehmen im letzten Geschäftsjahr Umsatzerlöse im Inland von mehr als eine Million Euro erzielt hat.
- Weiterhin wurde in § 32f Abs. 2 GWB präzisiert, dass das Bundeskartellamt die Anmeldeverpflichtung von Unternehmenszusammenschlüssen um drei Jahre verlängern kann; wiederholte Verlängerungen um jeweils drei Jahre sind bis zu dreimal zulässig. Vorher lautete die Formulierung: „[…] kann das Bundeskartellamt die Anmeldeverpflichtung um drei Jahre verlängern; wiederholte Verlängerungen um jeweils drei Jahre sind zulässig.“
- Geändert wurde auch § 32f Abs. 3, Satz 1, letzter Halbsatz GWB zum Störungsbegriff, der nun lautet: „Das Bundeskartellamt kann durch Verfügung feststellen, dass eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs auf mindestens einem mindestens bundesweiten Markt, mehreren einzelnen Märkten oder marktübergreifend vorliegt, soweit die Anwendung der sonstigen Befugnisse nach Teil 1 nach den im Zeitpunkt der Entscheidung beim Bundeskartellamt vorliegenden Er-kenntnissen voraussichtlich nicht ausreichend erscheint, um die Störung des Wettbewerbs wirksam und dauerhaft zu beseitigen“. Mit der Formu-lierung „wirksam und dauerhaft“ wurde nachgeschärft; im ersten Entwurf lautete die Formulierung noch „[…] um der festgestellten Störung des Wettbewerbs angemessen entgegenzuwirken“. In der Begründung zu dieser Umformulierung heißt es im Änderungsantrag, dass dies der Subsidiarität der Abhilfemaßnahmen nach Satz 6 und Absatz 4 gegenüber den sonstigen Befugnissen nach Teil I dieses Gesetzes Rechnung trage.
- In §32f Abs. 3, Satz 3 GWB werden nach dem Wort „Verhalten“ die Wörter „und ihre Bedeutung für die Marktstruktur“ eingefügt: „Adressaten von Maßnahmen können Unternehmen sein, die durch ihr Verhalten und ihre Bedeutung für die Marktstruktur zur Störung des Wettbewerbs wesentlich beitragen“. Damit ist eine Konnexität zwischen dem Verhalten und der Marktstellung des Unternehmens geschaffen worden. Ein Unternehmen als Adressat von Abhilfemaßnahmen nach Satz 6 muss daher beide Voraussetzungen erfüllen. Das heißt, es muss sowohl durch sein Verhalten als auch durch seine Bedeutung für die Marktstruktur einen wesentlichen Beitrag für das Vorliegen einer Marktstörung leisten.
- In einem neuen Absatz 9 des § 32f GWB wird eine Evaluationsklausel dergestalt vorgesehen, dass das BMWK nach einem Zeitraum von zehn Jahren nach Inkrafttreten dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat über die Erfahrungen mit den Regelungen des § 32f berichten muss.
- Darüber hinaus ist der Rechtsschutz erhöht worden. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird „aufgrund des gestaltenden Charakters und der möglichen Tiefe der Eingriffe, welche die Adressaten in Einzelfällen zu irreversiblen Eingriffen in ihr Geschäftsmodell zwingen können“, auch auf Maßnahmen nach § 32f, Abs. 3, Satz 6 GWB, d. h. auf die Abhilfemaßnahmen unterhalb der Entflechtung, ausgeweitet.
Von Wirtschaftsseite wurde und wird geltend gemacht, dass das Gesetz ein ausgesprochen negatives Signal für Investitionen und Innovation zum Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland setzt (vgl. insbesondere FIW-Berichte vom 30.01.23 und 16.06.23). Die 11. GWB-Novelle führe zu einem Paradigmenwechsel führt und bedeute eine erhebliche Verschärfung des Wettbewerbsrechts. Eingewandt wurde vielfach, dass es für die Unternehmen, Investoren und die Beschäftigten sehr gefährlich sei, ohne Anlass zweifelhafte und gravierende Eingriffsbefugnisse und Kompetenzen für das Bundeskartellamt als künftige Superregulierungsbehörde zu schaffen. Betont wurde auch, dass das Gesetz zu einer nationalen „Insellösung“ und damit zu einer Diskriminierung deutscher Unternehmen im europäischen und internationalen Wettbewerb führe. Es wurde zudem vorgebracht und mit wissenschaftlichen Gutachten untermauert, dass das Gesetz in mehrfacher Hinsicht mit EU-Recht kollidiere und verfassungsrechtliche Vorgaben verletze.
Der Bundesrat wird voraussichtlich nach der Sommerpause am 29. September 2023 über die 11. GWB-Novelle abstimmen, und es ist zu erwarten, dass sie Anfang/Mitte Oktober 2023 in Kraft treten wird.