Bundeskartellamt
Bundesgerichtshof
Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen
Anzapfverbot
Anlässlich einer Tagung des Markenverbands am 28. Februar 2018 äußerte der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, Gedanken zur Nachfragemacht und zum Anzapfverbot (vgl. dazu auch FIW-Artikel vom 1. März 2018).
Mundt kommentierte den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 23. Januar 2018 (EDEKA – Beschluss vom 23.01.2018 – KVR 3/17, auch als „Hochzeitsrabatte“ bekannt geworden). Das Anzapfverbot sei schon lange geltendes Recht, es setze der Ausnutzung von Nachfragemacht Grenzen. Eine Aufforderung zur Vorteilsgewährung müsse stets nachvollziehbar begründet sein, und der geforderte Vorteil müsse in einem angemessenen Verhältnis zum Grund der Forderung stehen. Dies gelte angesichts des „effects-based-approach“ prinzipiell auch für die europäische Ebene. Das Anzapfverbot gebe Antwort auf Fragen der Verteilungsgerechtigkeit entlang der Wertschöpfungskette und schütze größere Unternehmen und KMU, aber auch von marktstarken Unternehmen abhängige Unternehmen.
Die Vorschrift habe durch die 9. GWB-Novelle eine starke Präzisierung erfahren. Der mit dem Anzapfverbot bestehende deutsche Sonderweg orientiere sich an der Freiburger Schule, die den Schutz des Wettbewerbsprozesses und der Wettbewerbsfreiheit propagiere und die mittel- und langfristige Struktur des Marktes im Blick habe. Es sei schwierig, dieses Verständnis vor allem in den USA zu vermitteln, die die Nachfragemacht grundsätzlich positiv bewerteten.
Die aktuelle BGH-Entscheidung bestätige den Schutz vor Ausbeutungsmissbrauch. Bei einer übermäßigen Knebelung von Lieferanten gebe es weniger Innovation, weniger Vielfalt und Produktvariation, was zu einem „Spiraleffekt“ (d. h. zu einem sich selbst verstärkenden positiven Effekt auf der Absatzseite und besseren Beschaffungskosten für den Nachfrager) und zu einem „Wasserbetteffekt“ (d.h. niedrige Einkaufspreise starker Nachfrager führen zu schlechteren Konditionen der verhandlungsschwächeren Nachfrager) führen könne. Eine besondere Gefährdungslage bestehe meist nach Fusionen, wie im vorliegenden entschiedenen Fall (nach Edeka-Plus-Übernahme). Der BGH habe nun in einigen Fragen für Rechtsklarheit gesorgt, so Mundt. Im Hinblick auf die Definition von relativer Marktmacht sei nun klar, dass das Anzapfverbot auch gegenüber größeren Unternehmen gelte. Unter „verlangtem Vorteil“ sei jede Verbesserung gegenüber dem gegenwärtigen Zustand zu verstehen. Es müsse für einen Konditionenvorteil eine Gegenleistung vorhanden sein, die aus Sicht des Lieferanten auch ersichtlich sein müsse. Für das Tatbestandmerkmals des „Aufforderns“ komme es nicht darauf an, ob ungerechtfertigten Vorteile durchsetzbar seien. Die geforderte Leistung müsse darüber hinaus stets einen sachlichen Grund haben. Hierfür sei wirtschaftliche Macht nicht ausreichend. Es gehe hierbei um Leistungsgerechtigkeit (z. B. in Form von höheren oder garantierten Abnahmemengen, zusätzlichen Funktionen und Serviceleistungen für den Lieferanten). Für die sachliche Rechtfertigung seien eine nachvollziehbare Begründung und eine Gesamtbetrachtung aller Konditionen notwendig.
Im Ergebnis seien alle Konditionen von Edeka ohne sachlichen Grund gefordert worden. Der BGH habe insbesondere festgestellt, dass die geforderte Partnerschaftsvergütung, d. h. die Aufforderung, sich an der Modernisierung der Plus-Filialen zu beteiligen von vorneherein ungeeignet gewesen sei, um eine zulässige Kondition darzustellen. Die mit dem BGH-Beschluss gewonnene Rechtsklarheit werde künftig Folgeverfahren erleichtern und eine Vorfeldwirkung auch für die turnusgemäßen Jahresgespräche zwischen Herstellern und Handel entwickeln, prognostizierte Mundt.
Darüber hinaus betonte Mundt, dass derzeit eine marktmachtunabhängige Regulierung nicht benötigt werde. Die Politik solle nicht zu stark in die Vertragsfreiheit eingreifen. Das Konzept der relativen Marktmacht reiche aus, um Missbräuche der Nachfragemacht zu begrenzen. Eine etwaige Regulierung, wie sie für bestimmte Branchen in Brüssel diskutiert werde, müsse extrem austariert sein, denn Nachfragmacht käme auch immer dem Verbraucher zugute. Aus diesem Grund sei ein fallbezogener Ansatz besser als ein regulatorischer Ansatz.