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Kartellrecht
9. GWB-Novelle

Die Novelle des Kartellgesetzes soll die sogenannte Wurstlücke schließen. Dabei drohen anerkannte Prinzipien des Rechts auf der Strecke zu bleiben. Der Staat darf keinen bestrafen, der nicht erkennen kann, welches rechtmäßige Alternativverhalten ihm die Strafe erspart hätte. Dazu führt Stefan John aus:

Für das Bundeskartellamt ist die Sache klar: Es gehöre zur Beratungspraxis von Anwälten im Kartellrecht, ertappte Kartellsünder darauf hinzuweisen, wie sie die Zahlung von Kartellbußen vermeiden können – nämlich durch gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen. Diese sorgen aus Sicht der Behörde immer häufiger dafür, dass die öffentliche Hand verhängte Geldbußen nicht vereinnahmen kann: Die Existenz der zur Zahlung verpflichteten Gesellschaft erlischt, ohne dass es einen Rechtsnachfolger gibt, der dafür haften würde.

Prominentestes Beispiel ist der Fall des westfälischen Wurstfabrikanten Clemens Tönnies. Der ihm gehörende Konzern entging am Ende einer Kartellbuße in Höhe von 128 Millionen Euro. Die Wurstwarenbranche insgesamt war vom Bundeskartellamt mit einer Buße von 338 Millionen Euro belegt worden. Schnell avancierte sie zum Namensgeber der identifizierten Gesetzeslücke, die der Staat nun schließen will.

Im Prinzip völlig zurecht. Schließlich fußt unsere Wirtschaft auf durchsetzbarem Wettbewerb. Wenn gravierende Schutzlücken bestehen, muss der Gesetzgeber handeln: Es darf nicht sein, dass es einem Konzern mithilfe eines verzweigten Netzes von Tochter- und Beteiligungsgesellschaften gelingt, sich durch Abspaltungen oder Ausgliederungen gezielt einer Kartellbuße zu entziehen. Ob Wurst- oder sonstige Lücke, Schlupflöcher dieser Art sind zu schließen. 

Allerdings muss der Gesetzgeber die Grenzen beachten, die allem staatlichen Handeln gesetzt sind – vor allem durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Im Fall der Wurstlücke soll es jetzt eine Gesetzesänderung geben, die drastisch und unverhältnismäßig ist.

So ist vorgesehen, dass eine Konzernmutter für Kartellverstöße ihrer Konzerntöchter haftet, selbst wenn die Mutter eine bestmögliche Aufsicht über die Tochter hat walten lassen. Grund für die Haftung der Mutter sollen die gemeinsame Konzernzugehörigkeit und die Ausübung eines bestimmenden Einflusses auf die Tochter sein. Der Gesetzgeber macht vergleichbare Regelungen auf europäischer Ebene geltend, an die er das nationale Recht anpassen will. Den Wunsch zu europäischer Harmonisierung mag es geben, einen Zwang gibt es nicht.

Entscheidend ist der Umstand, dass die Konzernmutter in derartigen Fällen für einen Vorgang herangezogen wird, den nicht sie, sondern die Konzerntochter zu verantworten hat. Vergeltung für fremde Schuld widerspricht dem Grundsatz, keine Person, auch keine juristische, ohne eigene Schuld mit Strafe oder Buße zu belegen. Dieser Grundsatz entspringt dem Rechtsstaatsprinzip. Er hat unabänderlichen Verfassungsrang. Es ist falsch, ihn für eine nicht erzwingbare europäische Harmonisierung aufs Spiel zu setzen.

Der Staat darf niemanden bestrafen, ohne dass für diesen erkennbar wird, welches rechtmäßige Alternativverhalten ihm die Strafe oder Buße erspart hätte. Sonst wird er die ihn treffende Sanktion als ungerechtes Schicksal empfinden – und gegenüber der Sanktionsnorm eine nachvollziehbare Gleichgültigkeit entwickeln. Diese verhindert, dass von der Strafe irgendeine vorbeugende Wirkung für die Verhinderung künftigen Unrechts ausgeht. Daran sollte kein Gesetzgeber ein Interesse haben – auch nicht im Kartellrecht.

In Europa werden Geldbußen für Kartellverstöße gegen Unternehmen festgesetzt, die eine wirtschaftliche Einheit bilden. In Deutschland ist das nicht möglich. Denn Kartellverstöße erfordern Handlungen, die nur natürliche Personen begehen können und nicht Unternehmen.

Allerdings kann neben der natürlichen Person auch die juristische bestraft werden, für die der Täter gehandelt hat. Dieses Modell der Verbandsgeldbuße nach dem Rechtsträgerprinzip hat der Gesetzgeber bei der jüngsten Novelle des Kartellgesetzes vor vier Jahren ausdrücklich bekräftigt.

Dabei nahm er von einer pauschalen Ausweitung der Haftung über den Rechtsträger hinaus Abstand. Der Anlehnung an das europarechtliche Konstrukt der wirtschaftlichen Einheit erteilte der Gesetzgeber eine Absage. Die Kartellverwaltung wollte schon damals eine weitergehende Regelung. Seitdem strapaziert sie die Wurstlücke für ihre Position.

Auch diesmal muss der Gesetzgeber im abgewogenen Interesse anerkannter Rechtsprinzipien standhaft bleiben. Seit den jüngsten Änderungen hat die Verwaltung umfangreiche Möglichkeiten, Vermögensübertragungen einen Riegel vorzuschieben, die Kartellbußen vermeiden sollen. Es besteht allenfalls punktueller Nachbesserungsbedarf. Eine erweiterte Haftung für den Rechtsnachfolger oder wirtschaftlichen Nachfolger sind überlegenswert. Die jetzt geplanten Änderungen sind allerdings massiv – und schießen ohne Not über das Ziel hinaus.

Dr. Stefan John ist Mitglied des FIW-Vorstandes, Vorsitzender des Ausschusses für Wettbewerbsordnung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und Senior Vice President Legal, BASF SE.

 

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