Kommission
Fusionskontrolle
Verweisungen
Fragen und Antworten (Q&A): article22_recalibrated_approach_QandA.pdf (europa.eu)
Schon 2021 hatte die EU-Kommission einen Leitfaden für die Anwendung des Verweisungsverfahrens nach Artikel 22 der Fusionskontrollverordnung (FKVO) auf bestimmte Kategorien von Fällen erlassen – ohne Konsultation (vgl. FIW-Bericht vom 11.10.22). Diesem Leitfaden (guidance_article_22_referrals.pdf (europa.eu)) lassen sich Kategorien von Vorhaben entnehmen, die auch ohne Anmeldepflicht im Wege der Verweisung durch die Kommission geprüft werden können. Für die Kommission stellt das Verweisungsverfahren ein wichtiges Werkzeug dar, um auf „Killer Acquisitions“ und vorläufigen Erwerb reagieren zu können. Sie stützt sich dabei auf eine „Rekalibrierung“ des Artikel 22 FKVO, die allerdings eher eine Neuauslegung ist. Demnach will die Kommission die nationalen Kartellbehörden in bestimmten Fällen dazu bewegen, eine Übernahme zu verweisen, auch wenn die nationalen Behörden wegen Unterschreitung der Aufgriffsschwellen nicht zuständig sind.
Im Dezember 2022 hat die Kommission nun in Ergänzung ihres Leitfadens Fragen und Antworten (Q&A) in einem Dokument veröffentlicht, in welchem sie insbesondere die Möglichkeit von Vorabkontakten der Unternehmen mit der Kommission darstellt. Danach können Unternehmen, die eine Verweisung einer nationalen Wettbewerbsbehörde an die EU-Kommission befürchten, die Kommission über das geplante Zusammenschlussvorhaben in Kenntnis setzen und auf diese Weise frühzeitig abklären lassen, ob ihr Vorhaben ein Fall für eine spätere Verweisung nach Art. 22 FKVO seien könnte. Das neue Dokument enthält zudem Angaben zu den einzureichenden Informationen, die die Kommission für diese Vorabkontakte erwartet. Daneben werden auch die Zusammenarbeit der Kommission mit den nationalen Behörden sowie die Möglichkeit von Meldungen durch dritte Parteien behandelt. Es wird außerdem eine Reihe von abstrakten Fallbeispielen zu Vorhaben dargestellt, die aus Sicht der Kommission für eine Verweisung nach Art. 22 FKVO in Frage kommen. Es handelt sich allerdings nicht um eine abschließende Fallaufzählung.
Die Rechtmäßigkeit der Verweisungsbeschlüsse der Kommission und insoweit auch die Zuständigkeit der Kommission für die Prüfung der Auswirkungen eines Zusammenschlusses wurden mit Urteil vom 13. Juli 2022 (Rs. T-227/21) vom Gericht der Europäischen Union (EuG) bestätigt. Das EuG hatte in der Rechtssache Illumina/GRAIL entschieden, dass die EU-Kommission befugt war, das betreffende Zusammenschlussvorhaben auf mitgliedstaatliche Verweisungsanträge hin gemäß Artikel 22 FKVO zu prüfen, obgleich die in der Fusionskontrollverordnung festgelegten Umsatzschwellen nicht erreicht wurden und in den Mitgliedstaaten nicht angemeldet wurden. Allerdings waren die Kriterien des Art. 22 FKVO erfüllt. Die Kommission gab dem Verweisungsantrag von sechs verweisenden Mitgliedstaaten statt. In der Prüfung kam sie zu dem Ergebnis, dass der geplante Zusammenschluss den Wettbewerb auf dem Hoheitsgebiet der betroffenen Mitgliedstaaten beeinträchtigen und sich nachteilig auf den Handel auf dem Binnenmarkt auswirken würde. Die Bedeutung des Unternehmens GRAIL für den Wettbewerb würde zudem nicht angemessen durch den Umsatz widergespiegelt, weshalb die Verweisung an die Kommission aus deren Sicht angemessen war.
Wettbewerbskommissarin Vestager hatte noch im September 2022 angekündigt, eine einheitliche Herangehensweise mit den nationalen Wettbewerbsbehörden zu erarbeiten (vgl. dazu FIW-Bericht vom 11.10.22). Die neue Herangehensweise zu Art. 22 FKVO ist allerdings nicht bei allen nationalen Wettbewerbsbehörden auf Zustimmung gestoßen. Auch in der Wirtschaft sind kritische Stimmen (z.B. US Chamber of Commerce, BDI) laut geworden (vgl. EU will Fusionen stärker kontrollieren – und erzürnt damit die USA – Capital.de, EU Expansion of Merger Control Regime Threatens Harm to Governments, Consumers, and Businesses | U.S. Chamber of Commerce (uschamber.com)).