Band 256
XVII, 192 (56,- €)
ISBN: 978-3-452-28715-1
Um zu verhindern, dass Unternehmen durch gesellschaftliche Umstrukturierungen innerhalb des Konzerns einem Kartellbußgeld entgehen, plant das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie anlässlich der anstehenden Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (»9. GWB-Novelle«) die Einführung einer so genannten Konzernmutterhaftung. Nach den Vorstellungen des Ministeriums soll die Konzernmuttergesellschaft künftig auch ohne eigenes Verschulden für Kartellrechts-verstöße ihrer Töchter haften. Unterstützt werden diese Pläne von der Monopolkommission, die infolge des so genannten »Wurst-Kartells« – gegen dessen Mitglieder die verhängten Bußgelder nicht gänzlich beigetrieben werden konnten – eine verschuldens-unabhängige Konzernhaftung im Kartellrecht in ihrem 72. Sondergutachten »Straf-rechtliche Sanktionen bei Kartellverstößen« vom Oktober 2015 gefordert hatte. Der europäische Unternehmensbegriff soll nach diesen Vorstellungen in das deutsche Recht übernommen werden, was verfassungsrechtliche Fragen aufwirft.
Die Verfasserin der vorliegenden Dissertation, die an der Universität Augsburg entstanden ist, setzt sich in ihrer Arbeit kritisch mit dem praktizierten europäischen Haftungsmodell auseinander. Sie analysiert zunächst unter Einbeziehung der Entscheidungspraxis von Europäischer Kommission und Gerichtsbarkeit die bestehende Rechtslage im Hinblick auf die Haftung von Muttergesellschaften für die Handlungen ihrer Gemeinschaftsunternehmen und wirft anschließend einen kritischen Blick auf die europäische Praxis, vor allem auf den umstrittenen Begriff der »wirtschaftlichen Einheit« und dessen Herleitung durch die Kommission. Die Entscheidungspraxis gleicht die Verfasserin zudem mit den Grundprinzipien des Primärrechts und weiteren grund-legenden europäischen Prinzipien ab; dabei stellt sie Verstöße gegen den im Unions-recht verankerten Gesetzesvorbehalt und Schuldgrundsatz fest. Innovativ und aktuell sind schließlich die Vorschläge de lege ferenda der Verfasserin zu nennen, wie Muttergesellschaften sachgerecht und rechtskonform bebußt werden könnten. In diesem Zusammenhang sollen künftig Aufsichtspflichten im Konzern verankert werden.
Das FIW freut sich, mit diesem Band erneut ein Thema von aktueller und praktischer Relevanz vorzulegen, dem sich das FIW in der letzten Zeit vermehrt unter verschiedenen Gesichtspunkten angenommen hat. Gerade angesichts der aktuellen Diskussion um die Verfassungskonformität der jüngsten Vorschläge der Monopolkommission, die Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit einer Haftung der Konzernmutter ohne eigenes vorwerfbares Verhalten säht, kommen die Vorschläge der Verfasserin zum richtigen Zeitpunkt. Das FIW hofft, dass die vorgelegten innovativen alternativen Ideen im Vergleich zum umstrittenen Unionskonzept der Konzernmutterhaftung den wissenschaftlichen Diskurs weiter beflügeln und im aktuellen Gesetzgebungsprozess Gehör finden werden.