Industriepolitik
Wettbewerbspolitik
Fusionskontrolle
Beihilfenkontrolle
Am 3. Juni 2019 ist ein von der französischen Generalinspektion für Finanzen (IGF) und dem Allgemeinen Rat für Wirtschaft, Industrie, Energie und Technologie im Auftrag des französischen Wirtschaftsministers Le Maire ausgearbeiteter 60-seitiger Bericht mit dem Titel „Wettbewerbspolitik und die strategischen Interessen der EU“ (Original. „La politique de la concurrence et les intérêts stratégiques de l’UE“) veröffentlicht worden. Ob Le Maire oder die Regierung insgesamt die Vorschläge alle mittragen werden, ist noch offen.
Bereits in dem am 19. Februar 2019 verabschiedeten „deutsch-französischen Manifest über die Industriepolitik“ hatten sich der französische Minister für Wirtschaft und Finanzen Le Maire gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Altmaier für eine Änderung des EU-Wettbewerbsrechts ausgesprochen, die erforderlich sei, um das Bestehen europäischer Unternehmen im internationalen Wettbewerb zu sichern. Kurz zuvor hatte Bundeminister Altmaier seine Nationale Industriestrategie 2030 vorgestellt (vgl. dazu FIW-Bericht vom 19.02.2019)
Wesentlicher Inhalt des Berichts (Wettbewerbs- und Beihilfenpolitik)
In dem Bericht fordern die Experten neben einer Änderung der EU-Wettbewerbsregeln eine Reform der Handels-, Industrie-, Forschungs- und Innovationspolitik, die nach ihrer Ansicht als Teile eines einheitlichen Ganzen zu betrachten seien. Die Verpflichtung, den strategischen Interessen der EU Rechnung zu tragen, müsse fortan in den unterschiedlichen Regelungen eine tragende Rolle spielen. Wesentlicher Bestandteil des Berichts (S. 58) sind 17 konkrete, zusammenfassende Reformvorschläge in den unterschiedlichen Politikbereichen.
Der Bericht widmet sich zunächst den besonderen Herausforderungen der Digitalisierung, die etwa darin bestünden, dass die Entstehung marktbeherrschender Akteure begünstigt werde. Problematisch seien insbesondere die „konglomeraten Auswirkungen von Plattformen“. Es sei zu gewährleisten, dass die Kontrolle über diese sog. „systemischen digitalen Marktplayer“ gewahrt bleibe und gleichzeitig entsprechende europäische Akteure gefördert würden. Zu diesem Zweck wird in dem Bericht vorgeschlagen, ein mit Ermittlungs- und Weisungsbefugnissen ausgestattetes europäisches Aufsichtsgremium einzurichten. Außerdem plädieren die Autoren des Berichts für einstweilige Maßnahmen auf europäischer Ebene. Weitere, im Zusammenhang mit der digitalen Wirtschaft vorgeschlagene Maßnahmen sind die Implementierung einer ex post-Analyse für solche Fusionen, bei denen das Verhältnis zwischen dem Wert der Transaktion und dem Umsatz des Unternehmens auf mögliche Wettbewerbsbedenken hindeutet, sowie die Steigerung der für den digitalen Markt erforderlichen Kompetenzen der Generaldirektion Wettbewerb.
Zum Zwecke der Stärkung Europas müsse in erster Linie die Fusionskontrolle reformiert werden. Insbesondere wird die EU-Kommission aufgefordert, längerfristige Auswirkungen von Zusammenschlussvorhaben stärker in der Fusionskontrolle zu berücksichtigen. Dazu wird vorgeschlagen, die für die Berücksichtigung potentieller Markteintritte derzeit zugrunde gelegte Frist von zwei Jahren zu streichen und stattdessen eine Benchmark mit vergleichbaren Sektoren vorzunehmen, in denen bereits Marktentwicklungen zu beobachten seien, die sich im aktuell geprüften Markt wiederholen könnten. Überdies könne der verstärkte Einsatz verhaltensbezogener Abhilfemaßnahmen mit Revisionsklauseln zu einer flexibleren Reaktion auf die jeweilige Marktentwicklung beitragen. Ferner sei im Rahmen der Fusionskontrolle zu berücksichtigen, ob ein potentieller Wettbewerber staatliche Beihilfen erhalte, wobei sich dem Bericht keine Angaben darüber entnehmen lassen, auf welche Weise eine Berücksichtigung von Beihilfen konkret erfolgen sollte. Die Autoren des Berichts sprechen sich außerdem dafür aus, von Unternehmenszusammenschlüssen ausgehende Effizienzgewinne und Synergien stärker in die fusionskontrollrechtliche Prüfung einzubeziehen. Außerdem fordern sie neben der Einrichtung von sog. Industriestrategie- oder Sektor-Expertenteams in der GD Wettbewerb, die sich etwa mit der Möglichkeit von Abhilfemaßnahmen beschäftigen sollten, eine bessere Koordination der Generaldirektionen bei der Fusionskontrolle sowie mehr Transparenz bei der Entscheidungsfindung in der Kommissionsabschlusssitzung.
Schließlich unterbreitet der Bericht Vorschläge zur Stärkung der europäischen Industriepolitik, die in erster Linie auf eine Lockerung des europäischen Beihilfenrechts zielen. Insbesondere müsse der Unionsrahmen für F&E-Beihilfen drastische Änderungen erfahren, damit staatliche Beihilfen in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Innovation weitestgehend ohne vorherige Prüfung durch die Kommission gewährt werden könnten. Ausweislich des Berichts solle außerdem eine maximal einjährige Frist für die Prüfung staatlicher Beihilfen ins geltende Recht aufgenommen werden. Schließlich fordert der Bericht eine Vielzahl von Maßnahmen, die es für EU-Staaten erleichtern und beschleunigen würden, wichtige Projekte von gemeinsamem wirtschaftlichem Interesse (IPCEI) zu realisieren.