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FIW
53. FIW-Symposion
Kartellrecht

Das diesjährige Innsbrucker Symposion des FIW fand vom 26. Februar bis zum 28. Februar 2020 statt. Die Veranstaltung bot zum 53. Mal führenden Vertretern der Wirtschaft, Anwaltschaft, Verwaltung und Justiz ein Forum über Fragen der Wirtschaftsverfassung und der Wettbewerbspolitik. Zur Einstimmung auf die Tagung fand am Vorabend der Tagung ein Empfang mit anschließendem Eröffnungsdinner statt.

Donnerstag – 27.02.2020

Anstelle der erkrankten Vorstandsvorsitzenden des FIW, Dr. Angelika Westerwelle, begrüßte das geschäftsführende Vorstandsmitglied Dr. Horst Satzky die Teilnehmer. Er kündigte die zu erwartenden Vorträge des Symposions an und streifte dabei einige bedeutsame wettbewerbspolitische Entwicklungen. Vor allem die 10. GWB-Novelle sei zum Gegenstand der Erörterungen geworden. Auf EU-Ebene habe es verschiedene Sachverständigengutachten zur Wettbewerbspolitik gegeben. Deutschland stelle die Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr. Dann würden die Themen Klimaschutz, Industrie- und Datenstrategie weiter behandelt werden. Das Kartellrecht stehe wegen des globalen wirtschaftlichen Wandels auf dem Prüfstand.

Im Anschluss übermittelte Frau Stadträtin Christine OppitzPlörer ihre Grußworte. Als Finanzausschussvorsitzende im Dachverband der europäischen Städte und Gemeinden befasse sie sich mit einigen Megatrends und den von diesen ausgelösten Fragen. Ein wesentliches Thema sei der Klimawandel, bei dem eine Überhitzung von Meinungen, Panik, Meinungsbildung sowie ein strukturierter Informationsaustausch zu beobachten seien. Der Wettbewerb lebe davon, dass es einen fairen Austausch von Informationen gebe und sämtliche Akteure über wichtige Informationen am Markt im Sinne einer Informationsgleichheit verfügten. Die Meinungsbildung werde für Firmen aber auch für Staaten zunehmend schwieriger. Die Stadträtin dankte den Teilnehmern, dass sie Innsbruck die Treue hielten

Dr. Philipp Steinberg: Wettbewerbs- und Wirtschaftspolitik im Spannungsfeldvon globalisierung, Digitalisierung und Klimaschutz

 (vgl. separaten Bericht auf der Webseite des FIW unter „Aktuelles“ vom 18.03.20).

Andreas Mundt: Wirtschaft im Wandel – Kartellrechtspraxis auf dem Prüfstand?

(vgl. separaten Bericht auf der Webseite des FIW unter „Aktuelles“ vom 13.03.20)

Carsten Spohr: Wings of Chance – die Zukunft des globalen Luftverkehrs und die Rolle Europas

Den traditionellen „Unternehmervortrag“ hielt Carsten Spohr, Vorstandsvorsitzender  Deutsche Lufthansa AG. Spohr führte aus, dass sich die Lufthansa in Europa mit 800 Flugzeugen zur Nr. 1 entwickelt habe; sie sei viertgrößter Carrier weltweilt. Alle 30 Sekunden starte eine Lufthansa-Maschine. Lufthansa beschäftige 130.000 Mitarbeiter. Die Entwicklung der Lufthansa vom deutschen Staatsunternehmen zum europäischen Branchenführer erfülle mit Stolz, bringe aber auch Verantwortung mit sich. Es gehe darum, wie es gelingen könne, die europäischen Luftverkehrsunternehmen zu erhalten. Spohr betonte, dass Europa auch global erfolgreiche Airlines vonnöten habe. Lufthansa müsse dabei eine Chance haben, auch bei den Diskurs beherrschenden Themen des Verbraucherschutzes, des Klimaschutz, des Sicherheitsschutz bei Wettbewerbsgleichheit weiterhin oberste Ansprüche zu erfüllen.

Spohr berichtete über die letzten Wochen, die von globalen Ereignissen (leere Frachtluftschiffe, Absturz im Iran, Einstellung der China-Flüge aufgrund der Coronakrise) geprägt gewesen sei. Die Branche sei generell globalen Entwicklungen, wie z. B. globalen Handelskonflikten, ausgesetzt. Der Luftverkehr werde staatlich unterstützt, es werde in der Branche nicht genügend Geld verdient. Im Jahr 2015 habe die Branche zum ersten Mal ihre Kapitalkosten verdient. Die Bedeutung des Luftverkehrs sei wirtschaftlich und sozial enorm gestiegen. Die Globalisierung sei durch den Luftverkehr erst erlebbar geworden. Die Branche wachse mit einem doppelten Prozentsatz im Verhältnis zu den zugrundeliegenden Volkswirtschaften.

Die weltweite Wirtschaft sei vom Luftverkehr abhängig. 2019 seien 4,5 Mio. Menschen geflogen. Ein Drittel des gesamten Wertes aller exportierten Güter würden vom Wert her per Fracht transportiert. Die Lieferketten würden derzeit zunehmend zerschnitten durch den Coronavirusausbruch.  Im Luftverkehr gebe es 65 Mio. Arbeitsplätze weltweit. Keine echte Dienstleistung sei im letzten Jahrzehnt so günstig geworden wie der Luftverkehr (sogar 90 %  günstiger als vor 50 Jahren).

Der Markt insgesamt sei stark fragmentiert. In Europa gebe es drei große Airlines (Air France, LH, British Airways/Iberia), die alle staatlich kontrolliert seien. Im Verhältnis zu den U.S.-Amerikanern müssten starke europäische Wettbewerber erhalten bleiben, auch wenn es ihnen nicht leicht gemacht würde. Außerhalb Europas bekämen staatlich unterstützte Airlines die Infrastruktur, Subventionen, Umwelt- und Verbraucherschutzvorgaben auf den heimischen Carrier abgestimmt. Subventionierte Preise führten aber zu großen Umleitungen mit negativen Umweltauswirkungen. Der dünne Konsolidierungsgrad in Europa führe zu großen Überkapazitäten, nicht wettbewerbsfähigen Preisen und letztlich zu einer Rekordzahl von Insolvenzen (z. B. Air Berlin, Thomas Cook, Niki) und nicht zu gesunden Konsolidierungen. Kapazitäten würden oft künstlich im Markt gehalten.

Wettbewerb lasse sich nicht über die Strecke definieren, sondern über die Destination. Eine Marktbereinigung und Konsolidierung finde durch den Streckenfokus nur verzögert und langsamer statt, was die Profitabilität, die die Branche dringend bräuchte, drücke. Beim Kampf um die Strecke (z. B. Frankfurt-Berlin) würden Investitionsmittel entzogen. Ein weiteres Problem stellten das lokale Monopol der deutschen Flugsicherung und die enorme Marktmacht der Flughäfen (Regulierungsbehörden seien gleichzeitig Mehrheitseigentümer) dar. Die Flughafengebühren seien gleichgeblieben, während sich die Flugpreise in den letzten 10 Jahren halbiert hätten.

Europa müsse selbst durch Flug-Allianzen an Märkte angebunden werden. Die Gestaltung des regulatorischen Umfelds müsse notwendigerweise Standortkosten, Sonderbelastungen, Luftverkehrssteuern, Luftsicherheitskosten (derzeit 700 Mio. EUR nur für Deutschland, in den USA trägt dies der Staat) und Kosten für Passagierrechte berücksichtigen. Auch sei der Abbau von Wettbewerbsverzerrungen notwendig: Steuern müssten vernünftig eingesetzt werden und auch der Umwelt zugutekommen. Unterschiedliche Steuern führten zu Wettbewerbsverzerrungen. Der Umsteigeverkehr in Deutschland und der EU dürfe nicht immer teurer werden. Fair wäre es, wenn bei der Fusionskontrolle auch der globale Wettbewerb berücksichtigt würde. Auch wäre eine konsequente Anwendung der EU-Beihilferegelungen wichtig. Der Klimaschutz müsse mit dem Wettbewerb in Einklang gebracht werden.

Prof. Achim Wambach, Ph.D: Zunehmende Martkmacht auch in Deutschland?

Wambach führte aus, dass es eine internationale Diskussion um steigende Unternehmenskonzentrationen und Marktmacht gebe. Die Preisaufschläge (Preis minus Kosten) in den USA seien von 20 Prozent auf 60 Prozent gestiegen.

Klassische Konzentrationsmaße, wie z. B. der HHI-Index, seien zunehmend problematisch hinsichtlich ihrer Aussagekraft. Sehr konzentrierte Märkte könnten andererseits auch sehr wettbewerbsintensiv sein. Schon die Bestimmung des relevanten Marktes sei oft problematisch. Die offiziellen Wirtschaftszweigklassifikationen definierten Märkte recht grob. Deshalb bestimme die Monopolkommission auch seit 2014 in ihren Hauptgutachten die Unternehmenskonzentration nicht mehr.

Die Konzentrationsentwicklung in Deutschland sei auf der Grundlage des HHI nur schwer interpretierbar. Die Entwicklung verlauf anders als in den USA aber konstant. 5 Prozent der Wirtschaftszweige hätten einen HHI oberhalb von 3.500. Es fänden Umsatzverlagerungen in den Unternehmen mit den höchsten Konzentrationsmaßnahmen statt. Was daraus folge, sei nicht ganz klar.

Als neuer Marktmachtindikator komme ein Maß in Betracht, bei dem der Preisaufschlag auf Grenzkosten gemessen werde. Bei diesem Marktmachtindikator sei die Definition des relevanten Marktes nicht notwendig. Die wettbewerbliche Interpretation sei indes unklar. Eine Zunahme der Fixkosten oder mehr Investitionen würden auch zu einer Zunahme des Preisaufschlags führen. Dies mache eine industriespezifische Suche nach den kausalen Zusammenhängen notwendig und zeige das allgemeine Dilemma der Betriebswirtschaft: Man hantiere mit Makrodaten und Makrophänomenen, es fehle aber an einer klaren Herleitung und Interpretation.

Die Entwicklung der länderspezifischen Preisaufschläge sei innerhalb Europas sehr unterschiedlich (z. B. sehr hoch in der Schweiz). Die Preisaufschläge seien nach der Wirtschaftskrise in Deutschland stärker als in Europa gestiegen. Mögliche Gründe seien ein Anstieg der Fixkosten, z. B. bei Investitionen in die Marke, und die zunehmende Digitalisierung, die von Netzwerkeffekten, Skaleneffekten, Lock-In-Effekten, Superstarunternehmen und hohem Innovations- und Investitionsniveau bei schwächerer Innovationsdiffusion geprägt sei.

In den USA hätten die Unternehmen am oberen Ende der Verteilung die höchsten Preisaufschläge. Hier sei weiterer Erkenntnisbedarf notwendig. Es bestehe auch ein Vollzugsdefizit der Kartellbehörden: Die Fusionskontrolle in den USA und in Europa sei möglicherweise zu lax, indem sie beispielsweise Finanzbeteiligungen nicht berücksichtige. Notwendig seien mehr ex-post-Analysen zu Fusionskontrollverfahren. Die zunehmenden Unternehmensverflechtungen institutioneller Anleger (common ownership) könnten ebenfalls zu Preisaufschlägen führen. Diese Anleger hätten weniger Interesse am Unternehmensgewinn als am Industriegewinn, wodurch der Wettbewerbsdruck im Markt nachlasse. Diese wollten, dass es der gesamten Industrie gut gehe. Einige Evidenz zu den Preisaufschlägen fände man im Pharmabereich oder bei Fluglinien.

Mögliche Folgen eines Rückgangs der Wettbewerbsintensität könne auch eine Veränderung der Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde und eine sinkende Lohnquote sowie einen Rückgang der Unternehmensinsolvenzen zur Folge haben. Dies könne auch ein Grund dafür sein, warum der Innovationsgrad nicht mehr steige. Andere Gründe könnten im demographischen Wandel und in der Lohnquote, die sich in den letzten Jahren stabilisiert habe, begründet sein.

Als Fazit hielt Wambach fest, dass es auch in Europa steigende Preisaufschläge und große Unsicherheit bezüglich der möglichen Implikationen (ggf. sinkende Investitionen, Innovation und Produktivität) gebe. Auch hierzu wäre weitere Forschung angebracht.

Prof. Dr. Torsten Körber, Köln/ Silke Hossenfelder, Bonn: § 19a GWB-E: Übertriebene marktübergreifende Regulierung oder sachgerechte Weiterentwicklung des Kartellrechts?

Körber stellte die wichtigsten Ergebnisse aus seinem im Auftrag von Facebook erstellten Gutachten zu neuen Digitalisierungsvorschriften im Referentenentwurf zur GWB-Novelle vor, d.h. speziell zu § 19 a GWB-E (vgl. zum Gutachten auch FIW-Bericht vom 02.03.2020). Das Gutachten befasse sich mit allen Digitalisierungsthemen mit Ausnahme von § 19 Abs. 1 GWB. Körber stellte die wichtigsten Neuerungen vor. Die im Entwurf vorgenommene Klarstellung einer „Intermediationsmacht“ hielt Körber für sinnvoll. Bei den Datenzugangsrechten gehe die Begründung des Referentenentwurfs über die Studien, auf dies sich der Entwurf berufe, hinaus. Die „Tipping“-Regelung sei unklar. Die BMWi-Studie hatte angeregt, Regelbeispiele aufzunehmen, die nicht im Entwurf zu finden seien.

Die Abschaffung der Verhaltenskausalität in § 19 Abs. 1 sei keine bloße Klarstellung. Hier werde die Mindermeinung des Bundeskartellamts umgesetzt. § 19 a GWB-E sei ohne tiefgreifende Diskussion in camere entwickelt worden und stütze sich auf den Furman Report, der vom „strategic market status“ gesprochen habe. Die Wettbewerbskommission 4.0. habe aus Gründen der Rechtssicherheit von einer Übernahme abgeraten. Körber stellte den Aufbau des § 19 a GWB-E näher vor und bekundete seine Ansicht, dass diese Regelung nicht auf Digitalunternehmen begrenzt sei. Eine solche Begrenzung folge auch nicht aus § 18 Abs. 3a GWB, der nicht auf die Digitalwirtschaft beschränkt sei. Die finale Fassung habe eher den Gegensatz zwischen mehrseitigen und traditional bilateralen Märkten zum Gegenstand gehabt. Auch seien die Kriterien des Abs. 1 nicht nur auf digitale Unternehmen bezogen. Es bestünden teilweise Redundanzen zu §§ 18 Abs. 3, 3a, 3b. Die Regelung eröffne einen weiten Ermessensspielraum für das Bundeskartellamt und damit der Rechtsunsicherheit Tür und Tor. Es sei auch nicht klar, ob und warum die Verhaltensweisen in Abs. 2 wirklich besonders schädlich seien.

Hossenfelder stellte zunächst in ihrer Replik das Umfeld zur Einführung des § 19 a GWB-E dar. So habe der Koalitionsvertrag Handlungsbedarf attestiert. Es sei auch kein rein deutsches Thema, sondern Studien im Ausland hätten Bedarf festgestellt (z. B. Furman-Report). Es hätte ein neues Phänomen adressiert werden müssen. Es gebe Evidenz, wie Digitalunternehmen aufgestellt seien, dass sie Gatekeeper-Funktionen wahrnähmen und Silos bildeten, die sie befähigten, Märkte zu beherrschen. Man müsse neue Perspektiven zulassen.

Im Übrigen kehrten die Themen des Abs. 2 immer wieder. Eine Beweislastumkehr im Sinne einer stärkeren Mitwirkung der betroffenen Unternehmen sei vielfach in der Diskussion gewesen.

Die Feststellung durch die Kartellbehörde, ob Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung („ÜMB“) habe, sei anfechtbar und nicht unklar. Marktbeherrschung werde nicht vorausgesetzt. Unbestimmte Rechtsbegriffe hätte man im Kartellrecht immer, diese würden von den Gerichten weiter konkretisiert.

Die Verhaltenspflichten gälten nicht unmittelbar, sondern nur wenn das Bundeskartellamt diese „geltend machte“. Nicht alle Tatbestände träfen auf jedes Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung zu, da die Geschäftsfelder zu unterschiedlich seien. Die Regelung ermögliche eine spezifische Herangehensweise. Die mündliche Verhandlung beim EuG in Sachen Google Shopping habe gezeigt, dass es Zweifel daran gäbe, ob Selbstbegünstigung schädlich sei (Schadenstheorie). Die P2B-Verordnung regele nur die Transparenz, enthalte aber nicht ein Verbot der Selbstbegünstigung. Beim „Aufrollen von Märkten“ falle die Unbilligkeit nicht völlig raus, sondern werde bei der Rechtfertigung berücksichtigt. Der wesentliche Maßstab sei dabei „sofern es Wettbewerbsprozesse erheblich behindert“. Die Formulierung zur Datennutzung sei schwierig, da es nur um eine Datensammlung auf dem beherrschten Markt gehe, was zu Marktzutrittschancen führen müsse. Mit Blick auf die Interoperabilitäts- und Datenportabilitätsverpflichtungen sei gegenwärtig im TK-Kodex nur ein Teilaspekt geregelt (nur interpersonelle Kommunikationsdienste), während die Datenportabilitätsregelung hier weiter reiche als in der DSGVO.

Eine Befristung der Verfügung sei sinnvoll. Die Darlegungs- und Beweislastregel für die sachliche Rechtfertigung sei notwendig, um „etwas bewegen zu können“. Unternehmen würden erhebliche Mitwirkungspflichten auferlegt. Die Norm werde zivilrechtlich nicht durchsetzbar sein.

Das Bundeskartellamt sehe keine Disharmonie zum europäischen Recht, da Regelungen über die P2B-VO und DSGVO gar nicht angesprochen würden. Die Norm solle nur große digitale Plattformen treffen und stelle einen vorsichtigen Eingriff dar, der nicht „über alle Unternehmen ausgeschüttet“ werden sollte. Trotz der avisierten Dauer und Komplexität der Verfahren sei es keine Alternative gewesen, „nichts zu machen“. Die deutsche Regelung sei ein Anfang und eine Anregung, wie man auf europäischer Ebene zu Regelungen kommen könne. Frankreich und das Vereinigte Königreich seien ebenfalls auf dem Vormarsch.

An die Impulse schloss sich eine lebhafte Diskussion an. Kontrovers diskutiert wurde unter anderem, ob für diese Regelung ein Marktversagen nachweisbar sein müsse und ob das Gesetz tatsächlich geändert werden müsse, um die avisierten Verhaltensweisen zu erfassen.

Angeregt wurde, dass die Beweislastumkehr nur bei einem non liquet und nicht generell gelten sollte. Gefragt wurde auch, ob die neuen Schadenstheorien auch richtig seien. Empfohlen wurde, dass das Bundeskartellamt den Datenschutz nicht im Gewand des Kartellrechts betreiben solle, sondern zunächst die mit der Anwendung der DSGVO verbundenen Unsicherheiten auszuräumen wären. Kritiker sahen in § 19 a GWB-E eine „Übersteuerung“ und „Übererfüllung“ ohne zusätzlichen Regelungsbedarf zu den übrigen Neuerungen.

Freitag – 28.02.2020

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts

Erika Ummenberger-Zierler, Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (Österreich)

Prof. Dr. Andreas Heinemann, Präsident der schweizerischen Wettbewerbskommission:

Public Interest und Wettbewerbsschutz – Podiumsdiskussion – 

Heinemann führte aus, dass die Liste der Public-Interest-Gründe, die der Staat fördern könne oder solle, sehr lang sei. Als Schutzgüter kämen in Betracht: Medienvielfalt, Umwelt, soziale Ziele, öffentliche Sicherheit, öffentliche Gesundheit, Kultur, Regional-, Struktur- und Industriepolitik, Arbeitsplätze, Konsumentenschutz und Fairness (z. B.in globalen Wertschöpfungsketten). Es stelle sich in dem Zusammenhang stets die Frage, ob das Kartellrecht Verhaltensweisen auch dann verbieten sollte, wenn sie schädlich für andere Schutzgüter als den Wettbewerb seien, oder Verhaltensweisen erlauben sollte, die zwar für den Wettbewerb schädlich seien, aber andere Schutzgüter förderten.

Eine Verschärfung des Kartellrechts sei nur möglich im Wege einer Bundesratserlaubnis, die ähnlich wie die deutsche Ministererlaubnis wirke und nicht nur für Kartelle, sondern auch für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung eingeführt worden sei. Die Entwicklung in den USA sei ähnlich gewesen. Insbesondere Richter Brandeis habe im Wege des Rule-of- Reason-Ansatzes die öffentlichen Interessen sehr weit ausgedehnt. Heute werde dies in Lehrbüchern als der größte Fehler des U.S.-amerikanischen Antitrust-Systems angesehen. Seit den 1970er Jahren (Chicago School) fände nur noch eine rein wettbewerbliche Prüfung statt. In der Schweiz schieden nicht-ökonomische Public-Interest-Argumente für eine Rechtfertigung von Wettbewerbsbeschränkungen aus. Ausnahmemöglichkeiten bestünden nur für den Bereich der Buchpreisbindung seitens des Bundesrats oder per Spezialregel seitens des Gesetzgebers. Heinemann war nicht der Ansicht, dass das Kartellgesetz zu einem Public-Interest-Defizit geführt habe, da Wettbewerb generell Wohlstand, Wachstum und Innovation schaffe und ungerechtfertigte Transfers in Form von Kartell- und Monopolrenten verhindere.

Mundt erläuterte, dass Gemeinwohlbelange sehr wichtig seien. Sie könnten aus politischen Erwägungen über das Wettbewerbsrecht angestellt werden, was richtig sei. Es gebe weltweit auch kein Wettbewerbsregime, das nicht in irgendeiner Form Public-Interest-Erwägungen miteinbeziehe. Es gehe nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“, d. h. eher um prozessuale als materielle Fragen.

In vielen fortgeschrittenen Regimen finde man eine Zweiteilung: Erstens eine Entscheidung der Wettbewerbsbehörde über wettbewerbliche Belange und zweitens eine Institution, die über politische Belange entscheidet. Dies sei eine weise Teilung. Nur jüngere Wettbewerbsregime würden Public-Interest-Vorschriften vorsehen. Eine solche Wiedereinführung komme Mundt wie eine „Rolle rückwärts“ vor. Zum Beispiel sei in Südafrika die Gleichstellung der Rassen ein wichtiges Kriterium in der Fusionskontrolle.

Public Interest bedeute die Einbeziehung politischer Erwägungen. Hinsichtlich des Inhalts und der Schwerpunkte komme es auf die jeweilige Regierungskoalition an. Es sei gut, wenn die Kartellbehörden politische Erwägungen ganz weglassen könnten. Die Ministererlaubnis sei mit der Fusionskontrolle im Jahr 1973 eingeführt worden und sei eher dafür gedacht gewesen, die Gegner der Fusionskontrolle zu beschwichtigen. Von den 23 Anträgen bisher seien 10 durchgegangen, darunter Miba/Zollern als der letzte, allerdings einzigartig mittelstandsorientiert. Die Ministererlaubnis sichere die Unabhängigkeit der Kartellbehörde und sollte daher keinesfalls abgeschafft werden. Mundt führte aus, dass es auch „sinnvolle Ministerentscheidungen“ gebe: Zum Beispiel im Jahr 1977 die Übernahme von Hüller-Hillen durch Thyssen. Damals drohte, dass das  Fachkräfteteam durch die Insolvenz zerschlagen würde. Es sei im Übrigen schwierig, den Effekt einer Ministererlaubnis zu evaluieren. Bei der Übernahme des Kreiskrankenhauses Wolgast durch das Universitätsklinikum Greifswald im Jahr 2008 sei das Ziel des Fortbestands der Uniklinik im Sinne der Forschung und Lehre zwar erreicht worden, die wettbewerblichen Bedenken hätten sich mit dem Schließen mehrerer Abteilungen im Krankenhaus jedoch auch realisiert. Mundt nahm zu der umstrittenen Fusion von Edeka/Kaisers-Tengelmann keine Stellung.

Auch in Frankreich gebe es eine Ministererlaubnis nach deutschem Modell und im Vereinigten Königreich die Möglichkeit für eine Ministerblockade. So könne dort ein Minister eine Freigabe durch die CMA aus Gemeinwohlgründen (z. B. Medienpluralität, Verteidigung, Stabilität der Finanzmärkte) blockieren. Im Deutschland hätten das Bundeskartellamt und das Ministerium kein Interesse, die Fusionsanliegen von KMU, deren Überleben und Investitionen von einer Fusion abhängig seien, ständig „in die Ministererlaubnis zu treiben„. Hierauf werde man reagieren müssen.

Auch der Aspekt der Nachhaltigkeit nehme immer weiter an Bedeutung zu und solle im Zuge des Green Deal auch Eingang in die Horizontal-Leitlinien finden. Das Bundeskartellamt habe bei den Kooperationen und Initiativen im Textilbereich und zugunsten des Tierwohls bisher von seinem Aufgreifermessen keinen Gebrauch gemacht. Zu überlegen wäre ggf. ein Public-Interest-Test bei Kooperationen oder die Anwendung des Effizienzgedankens bei Preisauswirkungen. Die Diskussion stehe in Deutschland noch am Anfang. Das an sich gute System müsse noch weiter feinjustiert werden.

Frau Ummenberger-Zierler, die für den erkrankten Dr. Thanner den österreichischen Part übernommen hatte, sagte, dass das Wettbewerbsrecht kein Selbstzweck sei. Es sei legitim, den Wettbewerbsrahmen zu prüfen, ob dieser noch zeitgemäß sei angesichts der Herausforderungen von Digitalisierung und Globalisierung, angesichts des offenen Welthandels und von Wettbewerbern ohne Spielregeln (z. B. China). Die Diskussion über die Sicherstellung von Fairness für die europäischen Wettbewerbsteilnehmer sei höchst notwendig und legitim. Ummenberger-Zierler berichtete von einer Fusion in Österreich, die derzeit noch von der Europäischen Kommission geprüft werde. Sie bemängelte, dass die vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen zu einer Werksschließung in Österreich und einer Verlagerung nach China führen würden, was nicht den Zielvorstellungen eines fairen Wettbewerbs entspreche.

Das österreichische Regierungsprogramm enthalte die Vorgabe, das globale Wettbewerbsrecht stärker zu berücksichtigen und Änderungen in der Marktabgrenzung zu fordern. Wettbewerbsfähigkeit und Wettbewerb seien nicht unbedingt dasselbe, so Ummenberger-Zierler. Die europäischen Interessen sollten im globalen Wettbewerb nicht untergehen. Europa sollte auch als wettbewerbsfähiger Produktionsstandort wiederbelebt werden und nicht nur reiner Wissensstandort sein. Eine europäische Industriestrategie solle andererseits keine Planwirtschaft in die EU einführen. Die Fusionskontrolle könne im Übrigen auch nicht alles leisten. Alle Rechtsgebiete müssten ihre „Hausaufgaben machen“. Es bestehe in jedem Fall die Notwendigkeit einer Fokussierung und „über den Tellerrand hinauszublicken“.

Eine Ministererlaubnis in Österreich gebe es zum Glück nicht. Es gebe aber im Kartellrecht eine Klausel, die Kartellgerichten die Möglichkeit gibt, eine Fusion zu genehmigen, wenn diese volkswirtschaftlich gerechtfertigt und zur wirtschaftlichen Erhaltung des Unternehmens notwendig sei. Davon werde jedoch kein Gebrauch gemacht.  Bei der Beurteilung der Wettbewerbseffekte könne noch viel gemacht werden. Es gehe dabei nicht nur um das Gebot niedrigster Preise, sondern auch um Kriterien wie Qualität, Innovation und Nachhaltigkeit

Prof. Dr. Wolfgang Kirchhoff: Die aktuelle Rechtsprechung des Kartellsenats des BGH

Kirchhoff berichtete zunächst über die Rechtsprechung des BGH zum Schienenkartell II (Urt. v. 28.01.2020, KZR 24/17). Das OLG habe einen doppelten Anscheinsbeweis angewendet, dass Kartelle im Allgemeinen preissteigernd seien und es konkrete Preisaufschläge gegeben habe. Der BGH habe „Schienenkartell II“ nun für einige Klarstellungen genutzt. Dieses Urteil enthalte einige wichtige Ergänzungen zur Beweisführung im Schienenkartellschadensersatzprozess. Kirchhoff sagte auch – mit Blick auf die GWB-Novelle und den Gesetzgeber -, dass die Rechtsprechung grundsätzlich in der Lage sei, streitige Fragen selbst zu lösen, selbst und gerade auch bei unterschiedlicher Betrachtungsweise der Instanzgerichte.

Darüber hinaus gab Kirchhoff nähere Einblicke in den Beschluss „Öffentlichkeitsarbeit des Amts“- Beschl. v. 08.10.2019, KVZ 14/19 – und in das Urteil „Berufungszuständigkeit“ – Urt. v. 29.10.2019, KZR 60/18.

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