Bundestag
Anhörung
9. GWB-Novelle
Am 23. Januar 2017 fand im federführenden Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Energie (Vorsitz: Peter Ramsauer, CSU) in der 101. Sitzung eine öffentliche Anhörung zum Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Wettbewerbsbeschränkung (9.GWB-Novelle) und zu weiteren Vorlagen statt. In einem ersten Block wurden rechtliche Fragen u.a. zu Bußgeldern, Schadenersatzklagen, Verbraucherschutz, Ministererlaubnis abgehandelt. Für den zweiten Blick standen Digitales, Medien und Pressekooperation auf der Tagesordnung.
Sachverständige waren Dr. Stefan John (für den BDI), Prof. Dr. Rupprecht Podszun (Heinrich-Heine-Universität), Andreas Mundt (Bundeskartellamt), Prof. Dr. Ulrich Schwalbe (Universität Hohenheim), Prof. Dr. Kühling (Monopolkommission), Helmut Verdenhalven (Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger), Cornelia Haß (dju in ver.di) und Jutta Gurkmann (vzbz).
Die Einschätzung der Sachverständigen zur 9. GWB-Novelle fiel je nach Themenbereich unterschiedlich aus. Neben der Konzernhaftung betrafen weitere angesprochene Themen die Ministererlaubnis, den Verbraucherschutz (Kapazitätserweiterung für das Bundeskartellamt), Digitalisierung in der Novelle, Klagemöglichkeiten für Verbraucher, Ausnahmen für Verbundunternehmen / Sparkassen, Pressekooperationen, Probleme für Lieferanten durch Marktkonzentration im Lebensmittelbereich, die Frage einer Andienungspflicht in der Milchwirtschaft und nach einer Freistellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Zur Konzernhaftung
In einem ersten Fragenkomplex ging es um Bußgeldregelungen im Falle von Umstrukturierungen oder des Wegfalls des Rechtsverletzers („Wurstlücke“), die die Konzernmutter und den rechtlichen und wirtschaftlichen Nachfolger treffen können. Mundt wies auf die Notwendigkeit hin, dass diese Lücken im Bußgeldrecht geschlossen werden müssten. Die noch gültige Reglung habe laut Mundt zur Folge, dass beim Bußgeld derzeit „ein dreistelliger Betrag unter Feuer steht“.
Der Vorstoß zum Bußgeldrecht stehe „im Einklang mit Verfassungsrecht“, befand Podszun. Demgegenüber meinte John, in dem Punkt liege der Gesetzentwurf „gänzlich falsch“. Denn „ohne Not“ würden „grundlegende Rechtsprinzipien deutschen Haftungs- und Gesellschaftsrechts“ geopfert – und zwar „auf verfassungsrechtlich nicht zulässige Weise“.
John wies noch ergänzend auf den Unterschied zwischen Verwaltungsrecht (EU) und Strafrecht im weiteren Sinne (D) hin und darauf, dass der Gesetzentwurf verfassungswidrig sei, da dieser nicht an ein rechtmäßiges Alternativverhalten anknüpfe. Verantwortung und Schuld würden entkoppelt. Dies verstoße gegen das Rechtsstaats- und Schuldprinzip. John schlug daher vor, eine Aufsichtspflicht festzuschreiben, an der sich die Unternehmen messen lassen könnten. Er wies auch noch einmal darauf hin, dass die „Wurstlücke“ auf der Rechtsnachfolgeseite geschlossen werden müsse.
Digitalisierung
Es wurde insgesamt befürwortet, dass die zunehmende Digitalisierung mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ihren Niederschlag im Wettbewerbsrecht finde. Mundt unterstützte nachdrücklich die zentralen Regelungsvorschläge, wozu auch die neue Aufgreifschwelle in der Fusionskontrolle zählt, die an das Transaktionsvolumen anknüpft. Die vorgesehene Gesetzesänderung stellt nach Ansicht von Mundt sicher, dass das Bundeskartellamt „künftig gesamtwirtschaftlich bedeutende Zusammenschlüsse auch dann auf ihre wettbewerblichen Auswirkungen hin untersuchen kann, wenn sich das wettbewerbliche Potential der Unternehmen noch nicht in konkreten Umsätzen widerspiegelt“.
Schwalbe führte aus, dass aus ökonomischer Sicht eine Aufgreifschwelle für Unternehmen mit geringen Umsätzen sinnvoll sei. Deutschland komme eine Vorreiterrolle zu. Die EU solle eine einheitliche Regelung haben.
Auch für den vzbv war eine „Weiterentwicklung der wettbewerbsrechtlichen Instrumente in der Digitalwirtschaft“ unbedingt geboten, so Gurkmann. Es sei allerdings noch eine Klarstellung notwendig, dass die Aufzählung der Verbundeffekte nicht abschließend sei.
Umsetzung der Kartellschadensersatz-Richtlinie:
Nach Ansicht von Podszun entstehe mit Blick auf die Auskunftsklage gegen Unternehmen, die an Kartellen beteiligt waren, das Risiko, dass Unternehmen sich in Vergleichsverhandlungen reinziehen ließen. Zumindest müssten die Abwägungsvorgaben stärker geregelt werden. John führte dazu weiter aus, dass die Auskunftsklage den Standort Deutschland interessant für notorische Kläger machen werde. Dies wäre nicht nötig gewesen.
Gurkmann gab an, dass eine Schadenspauschale in Höhe von mindestens 10 Prozent in das Gesetz eingefügt werden solle. Auch sei eine weitere Verlängerung der Verjährungsfristen sinnvoll, da die Feststellung eines Kartells schon sehr lange dauere. Kartellgeldbußen sollten zumindest teilweise dem Verbraucherschutz zufließen.
Pressekooperationen
Zur beabsichtigten Erleichterung von Pressekonzentrationen gab es unterschiedliche Stellungnahmen. Mundt fand diese „wettbewerbspolitisch nicht überzeugend“. Auch die Monopolkommission bewertete diese als „kritisch“. Aus Sicht von Kühling sei keine Regelung notwendig. Kooperationen seien bereits nach geltendem Kartellrecht möglich, jedenfalls wenn Effizienzgewinne weitergegeben würden. Mit der Regelung bestehe ein Risiko von unnützen Kooperationen ohne Mehrwert. Podszun befürwortete im Falle einer Regelung deren Befristung. Auch sei eine Evaluierung nach fünf Jahren sinnvoll.
Verdenhalven (BDZV) sah in der Regelung allerdings einen „äußerst wichtigen Schritt, um den Gefahren für die Pressevielfalt im Zuge der Digitalisierung der Medien zu begegnen“. So würden durch „Synergien im verlagswirtschaftlichen Bereich“ dann „Mittel zur Stärkung der redaktionellen Arbeit frei, die anders nicht mehr zu erzielen sind“. Demgegenüber meinte Haß, es sei durch die angepeilten Gesetzesänderungen „ein weiteres Abnehmen der Medienvielfalt“ zu befürchten, dazu ein fortgesetzter Abbau von Arbeitsplätzen.
Verankerung des Verbraucherschutzes beim Bundeskartellamt
John lehnte behördliche Durchgriffsrechte strikt ab. Die private Durchsetzung des Lauterkeitsrechts sei vollkommen ausreichend. Weitere Eingriffsbefugnisse behördlicherseits seien nicht notwendig.
Nach Ansicht von Gurkmann macht hingegen die Durchsetzung von Verbraucherschutzmaßnahmen durch eine Behörde Sinn. So sei Schleichwerbung gerade im digitalen Bereich kaum zu erkennen und eventuell erst anhand von Geldflüssen zu ermitteln.
Mundt betonte, dass das Bundeskartellamt bereits viele Verbraucherschutzaufgaben habe. Ein Vorteil weiterer Befugnisse sei, dass das Verfahren noch schneller werde. Damit sei auch kein Systemwechsel verbunden. Nach Auffassung von Podszun handelt es sich jedoch um einen Paradigmenwechsel in der Verbraucherschutzdurchsetzung. Allerdings seien bereits jetzt schon teilweise behördliche Befugnisse vorhanden. Die Instrumente müssten aber behutsam durchgesetzt werden, damit es keine Konflikte zwischen behördlicher und privater Rechtsdurchsetzung gebe.
Nach Ansicht von Kühling sei eine Weiterentwicklung des Bundeskartellamts zur Verbraucherschutzbehörde positiv. Es dürfe nur nicht zu einer „Kakophonie“ mit der Kommission wegen der Datenschutz-Grundverordnung kommen.
Ministererlaubnis
Eine Parlamentserlaubnis sei schon deshalb geboten, weil es sich um eine Entscheidung „contra Fusionskontrollrecht“ handele, wie Lettl ausführte. Ein solcher Schritt komme allein dem Gesetzgeber zu. Demgegenüber habe sich das Instrument der Ministererlaubnis nach Ansicht von Kühling „grundsätzlich bewährt“. Eine weitere Verschärfung der Verfahrensregeln sei allerdings notwendig. Podszun forderte mindestens eine transparentere Ausgestaltung. Vier Monate seien als Fristenregime vorstellbar.
John sah das Instrument weiter als notwendig an und sah keinen expliziten Regelungsbedarf. Er sprach sich explizit gegen einen Parlamentsvorbehalt aus. Er könne sich aber vorstellen, dass Verfahrensstraffungen sinnvoll seien. Mundt sah in dem Zusammenhang eine Rechtsverordnung als geeignet an, um Änderungen vorzunehmen.