FTC
Plattformen
Kartellrechtsdurchsetzung
Fusionskontrolle
Rede
Jonathan Kanter
Am 2. März 2023 sprach der stellvertretende Generalstaatsanwalt Jonathan Kanter, Federal Trade Commission (FTC) bei der Keystone Conference on Antitrust, Regulation & the Political Economy in Brüssel über die Rolle von Plattformen, insbesondere die Fragen nach ihrer Funktionsweise, ihrem Wettbewerbsverhalten, ihrer Marktmacht und den Möglichkeiten der Behörden, kartellrechtlichen Missbräuchen von Plattformen Einhalt zu gebieten.
Kanter betonte zunächst, dass die Durchsetzung des Wettbewerbs der Schaffung einer dynamischeren Wirtschaft diene. Er ließ kurz die Bemühungen der U.S.-amerikanischen Wettbewerbsbehörden (FTC, DOJ) in den Bereichen der Fusionskontrolle, der Monopolbekämpfung nach Art. 2 des Sherman Act und zur Durchsetzung von Abschnitt 8 des Clayton Acts, der die Verflechtung von Vorstandsmitgliedern in Unternehmen verbietet, seit seinem Amtsantritt Revue passieren. Präsident Bidens Durchführungsverordnung zur Förderung des Wettbewerbs in der amerikanischen Wirtschaft habe ein definitives Mandat zur Überprüfung und Neubelebung der Kartellrechtsdurchsetzung und der Wettbewerbspolitik in der gesamten US-Regierung geschaffen. Kanter berichtete, dass seit seinem Amtsantritt in der FTC 100 neue Mitarbeiter eingestellt worden seien, und der Recruitingprozess sei weiter im Gang.
Kanter stellte heraus, dass Plattformen in ihrem Kern in der Regel als Vermittler funktionierten. Sie könnten verschiedene Produkte oder Dienstleistungen für verschiedene Gruppen anbieten, um zwischen ihnen durch die Plattform zu vermitteln. Einige Plattformen seien zweiseitig, die meisten seien jedoch mehrseitig. Plattformen unterschieden sich in der Regel in zahlreichen Aspekten von traditionelleren Märkten. Erstens profitierten sie oft von Größenvorteilen, wenn sie wachsen. Dabei könnten marktbeherrschende Plattformen ihre Marktmacht noch durch strategische Fusionen und Übernahmen ausbauen, entweder um den Markteintritt oder das Wachstum von Konkurrenten zu blockieren oder ihren Wettbewerbsvorsprung weiter zu vergrößern.
Zweitens könnten Plattformunternehmen oft die Spielregeln im Markt selbst – und das unabhängig vom Wettbewerb – bestimmen. Im Falle der Marktbeherrschung könnten sich ihre Entscheidungen nicht nur auf die Teilnehmer der Plattform auswirken, sondern auch auf die Struktur der Branche in einer Vielzahl von verwandten Märkten. Die Kartellbehörden müssten daher insbesondere bei Fusionen darauf achten, ob ein Zusammenschluss den Wettbewerb auf einer Seite eines Plattformmarktes verringere oder ausschalte und damit die Fähigkeit anderer Plattformen untergrabe, ein wettbewerbsfähiges Produkt anzubieten.
Kanter ging auch auf den Bericht des House Subcommittee on Antitrust des U.S.-Kongresses ein, in dem die Doppelrolle von Plattformen festgestellt worden war: „dominant platforms in many cases have also integrated into adjacent lines of business . . . operat[ing] both as key intermediaries for third-party companies as well as direct competitors to them.“ Marktbeherrschende Plattformen hätten diese Doppelrolle ausgenutzt, indem sie Datenausbeute betrieben, sich selbst bevorzugt und sich Schlüsseltechnologien angeeignet hätten. Diese Geschäftspraktiken seien systemischer Natur und keine isolierten Einzelfälle gewesen.
In der FTC konzentriere man sich im Unterschied zu den Gerichten nicht so sehr auf Begrifflichkeiten, sondern vor allem darauf, ob das Verhalten eines Unternehmens mit Monopolmacht eine diskriminierende Geschäftspraxis an den Tag legt, die einen (wahrscheinlichen) und unzulässigen Ausschlusseffekt hat und dem Wettbewerb schadet. Wettbewerb finde bei Plattformen dabei auf vielen Ebenen statt. Es gebe einen Wettbewerb um die Plattform, auf der Plattform und in vielen Fällen auch einen Wettbewerb um die Verringerung der Bedeutung und Relevanz der Plattform. Setzt ein marktbeherrschende Unternehmen Verhalten ein, um diskriminierend zu handeln, könne es gegen den Sherman Act verstoßen. Marktbeherrschende Unternehmen in Plattformindustrien verfügten dabei oft über eine Vielzahl von oft subtilen und nicht transparenten Hebeln und Stellschrauben, die einzeln oder in Kombination die Wettbewerbsdynamik verändern und den Wettbewerb schädigen könnten.
Die FTC verfolge daher schon lange die Politik, gegebenenfalls auch strukturelle Abhilfemaßnahmen in Erwägung zu ziehen. Kanter erwähnte in dem Zusammenhang die Zerschlagung von Standard Oil im Jahr 1911 und AT&T im Jahr 1982. Zerschlagungen oder Entflechtungen könnten auch auf Plattformmärkten Strukturen aufbrechen, die Anreize setzten, den Wettbewerb ausschließen. Dadurch könnten Anreize zur Interoperabilität wiederbelebt und den Nutzern ein plattformübergreifendes Multihoming erleichtert werden. Der Vorteil von strukturellen Maßnahmen sei zudem, dass sie mehr Sicherheit für die Durchsetzungsbehörden bedeuteten und eine ständige, invasive Überwachung überflüssig machten. Ziel müsse sein, den Wettbewerb auf den Märkten wiederherzustellen, um die Freiheit von Monopolen in der U.S.-amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft zu gewährleisten.