Schlussantrag des EuGH-Generalanwaltes Emiliou im Fall Illumina/Grail
EuGH
Generalanwalt
Fusionskontrolle
Verweisungen
Art. 22 FKVO
Pressemitteilung des EuGH: Illumina-Grail-Zusammenschluss: Generalanwalt Emiliou schlägt vor, das Urteil des Gerichts aufzuheben und die auf einen Verweisungsantrag hin ergangenen Kommissionsbeschlüsse für nichtig zu erklären (europa.eu)
Schlussantrag des GA (Englisch): CURIA – Documents (europa.eu)
Am 21. März 2024 hat der zypriotische Generalanwalt beim EuGH, Nicholas Emiliou, der neuen Kommissionspraxis zu Artikel 22 EU-Fusionskontrollverordnung, nach der die Kommission nationale Wettbewerbsbehörden auffordert, bestimmte Zusammenschlussvorhaben an sie zu verweisen, selbst wenn weder die nationalen noch die europäischen Aufgreifschwellenwerte überschritten wurden, eine Absage erteilt. In seinem Schlussantrag vom 21.03.2024 in den verbundenen Fällen C-611/22 P (Illumina v. Europäische Kommision) und C-625/22 P (Grail v. Europäische Kommission) forderte er den EuGH auf, das Urteil des EuG vom 13.07.2022, das die Kommissionspraxis gestützt hatte, aufzuheben und die zugrundeliegenden Kommissionsbeschlüsse im Fall Illumina/Grail zu annullieren.
Hintergrund:
Obwohl die Übernahme von Grail durch Illumina im Jahr 2021 weder nach den Vorschriften der EU-Fusionskontrollverordnung noch nach den Vorschriften eines Mitgliedstaates der Fusionskontrolle (FKVO) unterlag, wurde sie von mehreren EU-Mitgliedstaaten gemäß Artikel 22 FKVO an die Kommission verwiesen. Die EU-Kommission hatte auf der Grundlage der Verweisung im September 2022 die Übernahme von GRAIL durch Illumina untersagt, weil sie Bedenken hatte, dass der Zusammenschluss Innovationen behindern und die Auswahl auf dem neu entstehenden Markt für Bluttests zur Krebsfrüherkennung einschränken würde. Illumina und GRAIL hatten den Zusammenschluss während der eingehenden Prüfung der Kommission dennoch vollzogen, woraufhin die Kommission gegen die beiden Unternehmen Geldbußen verhängt hat.
Die Besonderheit an diesem Fall ist, dass die EU-Kommission das betreffende Zusammenschlussvorhaben seinerzeit auf mitgliedstaatliche Verweisungsanträge hin gemäß nach Artikel 22 FKVO überprüft hatte, obgleich die in der Fusionskontrollverordnung festgelegten Umsatzschwellen nicht erreicht wurden und das Vorhaben in den Mitgliedstaaten nicht angemeldet worden war.
Für die Kommission stellt das Verweisungsverfahren nach Art. 22 FKVO mittlerweile ein wichtiges Werkzeug dar, um auf „Killer Acquisitions“ und vorläufigen Erwerb reagieren zu können. Sie stützt sich dabei auf eine „Rekalibrierung“ des Artikels 22 FKVO, die allerdings eher eine Neuauslegung ist. Demnach will die Kommission die nationalen Kartellbehörden in bestimmten Fällen dazu bewegen, eine Übernahme zu verweisen, auch wenn die nationalen Behörden wegen Unterschreitung der Aufgriffsschwellen nicht zuständig sind.
Im Fall Illumina/GRAIL sind die Rechtmäßigkeit der Verweisungsbeschlüsse der Kommission und insoweit auch die Zuständigkeit der Kommission für die Prüfung der Auswirkungen eines Zusammenschlusses mit Urteil vom 13. Juli 2022 (Rs.T-227/21) vom Gericht der Europäischen Union (EuG) bestätigt worden (vgl. auch FIW-Berichte vom 11.10.22, 15.02.2023 und 25.10.23). Zuletzt hatte die EU-Kommission am 12. Oktober 2023 den Beschluss erlassen, gemäß dem die bereits vollzogene Unternehmensübernahme wieder rückgängig gemacht werden muss. Sie hat Maßnahmen zur Wiederherstellung des vor dem Zusammenschluss bestehenden Zustands festgelegt, nach denen Illumina GRAIL veräußern und den Zustand vor dem Vollzug der Übernahme wiederherstellen muss. Ein Urteil des EuGH steht noch aus.
Wesentliche Gründe aus dem Schlussantrag des Generalanwalts:
In der Pressemitteilung des EuGH werden die wesentlichen Gründe für die Meinung des Generalanwaltes zusammengefasst. So würden durch die weite Auslegung der Kommission von Art. 22 FKVO u. a. der Anwendungsbereich der Fusionskontrollverordnung und die Zuständigkeit der Kommission ganz erheblich ausgeweitet. Die Kommission würde dadurch die Möglichkeit erhalten, nahezu jeden weltweiten Zusammenschluss, unabhängig von den Umsätzen der Unternehmen, ihrer Präsenz in der Union und dem Transaktionswert, jederzeit – auch noch eine ganze Zeit nach Vollzug des Zusammenschlusses – zu prüfen. Darüber hinaus wären die aus einer weiten Auslegung von Art. 22 FKVO resultierenden Verfahren schwerlich effizient, vorhersehbar und geeignet, Rechtssicherheit für die Beteiligten sicherzustellen. Außerdem gebe weder der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Regelungszusammenhang und der Zweck dieser Bestimmung, auch unter Berücksichtigung der Logik des EU-Fusionskontrollsystems sowie bestimmter fundamentaler Grundsätze des Unionsrechts (wie derjenigen des institutionellen Gleichgewichts, der Subsidiarität, der Rechtssicherheit und der Territorialität) eine solche weite Auslegung von Art. 22 FKVO durch das EuG her.
Weitere Schritte:
Auch wenn der EuGH nicht an den Schlussantrag des Generalanwaltes gebunden ist und die Kommissionspraxis in seiner abschließenden Entscheidung dennoch genehmigen kann, bringt der Schlussantrag neuen Schwung in die Frage, ob und auf welche Weise die Kommission Zusammenschlussvorhaben, die originär nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, künftig aufgreifen kann. Generalanwalt Emiliou schlägt in seinem Schlussantrag eine Überarbeitung der Aufgreifschwellenwerte vor, die die Kommission bislang abgelehnt hatte.