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Veröffentlichter Expertenbericht von Mario Draghi zur Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit

EU
EU-Kommission
Draghi-Bericht
Binnenmarkt
Wettbewerbsfähigkeit
Wettbewerbsrecht
Beihilfenrecht
IPCEI
New Competition Tool

Link zum Bericht: EU competitiveness: Looking ahead – European Commission (europa.eu)

 

Am 9. September 2024 hat der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi im Auftrag der Europäischen Kommission einen 400-seitigen Bericht vorgelegt, der die Herausforderungen für die Wettbewerbsfähigkeit der EU beleuchtet. Er gilt als richtungsweisend für die politische Agenda der kommenden fünf Jahre. Neben den Themen Innovation und Sicherheit/Verteidigung nimmt die grüne Transformation im Bericht eine zentrale Rolle ein. Draghi analysiert die aktuellen Ausgangslagen und Herausforderungen und unterbreitet vielfältige Handlungsvorschläge.

 

Für den Bereich des Wettbewerbsrechts betont Draghi, dass das Grundprinzip des fairen und freien Wettbewerbs zur Gewährleistung eines Level Playing Fields für Unternehmen im Binnenmarkt nach wie vor gültig bleibe, es aber an die sich radikal ändernden Rahmenbedingungen angepasst werden müsse. Die Herausforderung bestehe darin, ein Gleichgewicht zwischen der Einhaltung wettbewerbsrechtlicher Grundsätze und der Notwendigkeit von Skaleneffekten und Innovationsanreizen für europäische Unternehmen herzustellen. Die wachsende Bedeutung von digitalen Technologien, Daten und Netzwerkeffekten verändere die Art und Weise, wie Wettbewerb funktioniert. Auf vielen Märkten gehe es beim Wettbewerb nicht mehr nur um die Preisgestaltung, sondern um Innovation und Skaleneffekte. Die Wettbewerbsbehörden müssten vorausschauender urteilen, das nötige technische Know-How entwickeln und schnellere Entscheidungen treffen. Hierzu würden auch verstärkte Ressourcen benötigt.

 

Im Einzelnen fordert Draghi im Kapitel „Revamping Competition Policy“, in der Fusionskontrolle zukunftsgewandter zu entscheiden und Innovations- und Effizienzaspekte stärker im Wege einer „Innovations- oder Effizienzeinrede“ zu berücksichtigen, die Verfahren der GD Wettbewerb zu beschleunigen und zu vereinfachen sowie IPCEIs im weiteren Umfang zu nutzen. Er spricht sich auch für klare Regeln zur wettbewerbsrechtlichen Bewertung von Kooperationen aus. Diese könnten erforderlich sein, um beispielsweise Forschungsinvestitionen oder Nachhaltigkeitsinitiativen überhaupt zu ermöglichen. Für Unternehmen müsse klar erkennbar sein, welche Kooperationen sie ohne rechtliche Risiken eingehen könnten. Hierzu würden entsprechende klare Leitlinien und Vorlagen benötigt

 

Nach Ansicht Draghis nehme die derzeitige Wettbewerbsdurchsetzung nicht ausreichend Bezug auf Aspekte wie Sicherheit, Resilienz und mit diesen Bereichen verbundene Risiken für die europäische Wirtschaft. Er schlägt vor, eine Sicherheits- und Resilienzbewertung durchzuführen in Wettbewerbsfällen, in denen diese Dimensionen besonders relevant seien, und für Unternehmen und Sektoren, die von strategischer Bedeutung seien (genannt werden Sicherheit, Verteidigung, Energie und Raumfahrt). Diese Bewertung soll nicht durch die DG Wettbewerb, sondern durch eine externe Stelle, z. B. durch ein „Resiliency Assessment Body“ durchgeführt werden.

 

Der Bericht betont darüber hinaus die Bedeutung der Beihilfekontrolle und bewertet die Krisenbeihilfen der vergangenen Jahre, die größtenteils zu unkoordinierten nationalen Fördermaßnahmen und einer Fragmentierung des Binnenmarktes geführt hätten, kritisch. Es sei nun wichtig, zum einen wieder zurück zu einer strengen Anwendung der Beihilfekontrolle zu kommen und zum anderen nationale Fördermaßnahmen verstärkt auf EU-Ebene zu koordinieren, um Produktivität und Wachstum in strategischen Sektoren zu erweitern. Neben einer Ausweitung des IPCEI-Instrumentes schlägt der Bericht vor, in der beihilferechtlichen Bewertung die Kohärenz der Beihilfen mit Vorgaben der EU-Industriepolitik sowie die potenziellen Auswirkungen auf Innovation und Resilienz stärker zu berücksichtigen. In Bereichen, in denen nationale Fördermaßnahmen auf europäischer Ebene koordiniert werden, sollen höhere Beihilfebeträge zugelassen werden. Für den Energiebereich enthält das entsprechende Kapitel Vorschläge zur beihilferechtlichen Ermöglichung von Preisentlastungsmechanismen.

 

Der Draghi-Bericht zielt auch auf die Einführung eines New Competition Tools (NCT) in vier Bereichen, in denen seiner Meinung nach die derzeitigen Wettbewerbsinstrumente unzureichend sein sollen. Er nennt in dem Zusammenhang i) stillschweigende Absprachen; ii) Märkte, auf denen Verbraucherschutz eher erforderlich ist, z. B. weil die Verbraucher zu sensiblen Gruppen gehören oder Verhaltensverzerrungen (behavioural biases) haben; iii) Märkte, auf denen die wirtschaftliche Belastbarkeit schwach ist, was u.a. an der Marktstruktur liegen könnte (u.a. Abhängigkeit von einer einzigen Rohstoffquelle), die zu häufigen Engpässen oder anderen schädlichen Folgen führt; iv) frühere Durchsetzungsmaßnahmen, bei denen die bei der Behörde eingegangenen Informationen/Daten darauf hindeuten, dass die eingegangenen Verpflichtungen oder Abhilfemaßnahmen nicht zu mehr Wettbewerb führen.

 

Auf europäischer Ebene ist 2020 ein flächendeckenden „NCT“ seinerzeit abgelehnt und stattdessen mit dem Digital Markets Act eine sektorspezifische Regulierung nur für große digitale Gatekeeper vorgelegt worden. Es war zu dem Zeitpunkt kein Grund ersichtlich, ein neues Regulierungsinstrument für alle Branchen und Märkte vorzusehen. Neben offenen und streitigen Kompetenzfragen ist auffallend, dass Draghi an dieser Stelle weder Sektoren nennt, noch eine stichhaltige Begründung für seinen Vorschlag anführt.

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